Ich denke, wir müssen uns vom Wissensbegriff lösen. Der erste Schritt in diese Richtung wurde in der Didaktik mit dem Kompetenzbegriff gemacht, aber die Ablösung geht noch weiter (zugleich entfernt sie sich dann weniger weit vom Wissen als es beim dualistisch angelegten Kompetenzbegriff der Fall ist).
Lernprozesse in einer Kultur der Digitalität sollten auf Verstehen ausgerichtet sein. Verstehen als Begriff in der Tradition der Hermeneutik. Lebenswelt statt Wirklichkeit. Sowohl Wissen als auch Kompetenz sind darin enthalten. Verstehen ist immer prozessual, nie abgeschlossen, nur im Dialog feststellbar (und daher auch nur so prüfbar). Das traditionelle Ringen von Schüler:innen "Ich verstehe das nicht" ist darin genauso aufgehoben wie der lehrseitige Wunsch nach einem nicht bloß oberflächlichen, simulierten Verständnis einer Sache.
Wissen selbst ist ein Begriff, der sich mit der wissenschaftstheoretischen Infragestellung von Tatsachen seit langer Zeit explizit aufgelöst hat. Während der Relativismus an Stellen, wo er nicht angebracht ist, Erfolge feiert (etwa bei der Infragestellung wissenschaftlicher Argumente, ohne bessere dagegenzusetzen), wird andernorts und besonders im schulischen Kontext diese Entwicklung zu wenig integriert.
Statt von Wissensarbeit also besser von Verstehensprozessen sprechen (mit dem Begriff der Arbeit habe ich wegen seiner mechanistischen Assoziationen auch Vorbehalte, daher nicht Verstehensarbeit). Sachverhalte selbst als Perspektivierungen mit lebensweltlicher Funktion denken. Nicht das Wissen hat sich verändert, wir haben heute kein verändertes Wissen, sondern wir sollten damit aufhören, überhaupt in einem Wissensbegriff zu denken, der von den lebensweltlichen Verstehensbedürfnissen abstrahiert.
Neben Hermeneutik steckt darin viel Pragmatismus (Peirce, Dewey, James): Wissen ist das, was mir persönlich nützt: nicht nur im eingeschränkten Sinne des praktischen Nutzens, sondern auch in dem Sinne, dass es mir den Zugang zu einem Aspekt des Lebens aufschließt. Nutzloses Wissen könnte dann gar nicht "mein" Wissen sein, sondern bloß das Wissen anderer, weil ich mit Hilfe solchen Wissen nichts aus meiner Lebenswelt besser verstehen kann.