Bevor Du beginnst

Prüfungen ohne Aufsicht

Lars Mecklenburg
3 min readJul 26, 2020
Prüfungen ohne Aufsicht

Anders als Du es schon oft erlebt hast, wird es bei dieser Prüfung zu Hause keine Einschränkungen geben. Du wirst noch nicht einmal durch mich oder irgendeine Technik beaufsichtigt. Das ist sehr ungewohnt, darum will ich es Dir erklären:

  • Ich will erfahren, was Du gelernt hast, was Du kannst, was Du weißt und wie Du darüber denkst. Auf dieser Grundlage werde ich Dir helfen, weiter voranzukommen. Ich will Dich nicht dazu bringen, nur so zu tun, als ob Du etwas kannst. Denn dadurch fischen wir beide im Trüben: ich, weil ich zu Unrecht voraussetze, dass Du bei etwas keine Hilfe mehr benötigst, und Du, weil dasjenige, was ich Dir als Hilfe anbiete, Dir kein Stück weiterhilft.
  • Nutze Deine Möglichkeiten, sowohl Deine eigenen Fähigkeiten als auch sämtliche Hilfsmittel Deiner Wahl. Öffne Dir Tabs und Fenster in Deinem Browser und suche im Internet nach Wissen, das Dir im Moment fehlt. Nutze für Dich all das, was Dir etwas Übersicht verschafft. Errichte auf Deinem Arbeitsplatz Stapel mit dem, was Du im Unterricht kennengelernt hast und Dir jetzt hoffentlich nützt. Wenn Du Dich in all den Informationen nicht verlierst, hast Du eine erste, sehr wichtige Leistung erbracht.
  • Beschreibe mir bitte Dein Handeln während der Prüfung. Du kannst dabei offen und ehrlich sein, denn es gibt keinen Grund, etwas zu verbergen. Nimm Dir für die Prüfung die Zeit, die Du brauchst. Betrachte meine Zeitangabe nur als Vorschlag. Zeige mir, was Du verwendet hast, wie Du es verstanden hast und wen Du um Rat gefragt hast. Ja, Du kannst Dir auch Hilfe von anderen Menschen holen: Deinen Klassenkameraden, Deinen Geschwistern, Deinen Eltern. Selbst von mir! Nichts davon ist unzulässig, solange Du Dein Vorgehen für mich nachvollziehbar festhältst.
  • Anhand dieser Angaben wird für mich Dein eigentliches Können und Wissen sichtbar und genau darum geht es in der Prüfung. Sollte ich Grenzen bei Dir entdecken, verlasse Dich darauf, dass ich Dich beim Überschreiten begleiten werde. Also zeige sie! Wenn Du zu den Grenzen Deines Könnens ehrlich stehen kannst, hast Du schon eine zweite, sehr wichtige Leistung erbracht.
  • Eine Sache verändert sich nicht: Du bekommst am Ende eine Note oder Punkte oder ein paar Bienchen. Ganz ehrlich: Ich finde das ebenfalls unangemessen. Andererseits ist es auch gut, Dinge mal auf den Punkt zu bringen, und ich muss auch die Übersicht behalten. Du kannst Dich aber darauf verlassen, dass es mein Ziel ist, Dir gute Noten zu geben, und genauso, dass eine schlechte Note nichts über mein Verhältnis zu Dir ausdrückt. Das beruht auf ganz anderen Dingen als einer Note.
  • Ich mache diese Art der Prüfung nicht aus der Not heraus, sondern aus einem guten Grund: Wir alle haben unser Wissen zum allergrößten Teil nicht selbst erfunden. Auch ich als Lehrer:in nicht. Wir müssen nicht so tun, als ob es das „eigene“ Wissen wäre. Ständig müssen wir uns das Wissen anderer zu eigen machen. Heute gibt es ganz großartige Wissensspeicher, die dabei unglaublich hilfreich sind. Aber das entlässt uns als Menschen nicht aus der Aufgabe, Wissen weiterzutragen. Als Wissensträger gibt es nur uns: lahm zu Fuß und darum mit Fahrrädern unterwegs, vergesslich im Kopf und darum mit einem Speichermedium in der Hand.
  • Eine Prüfung ist Stress. Wenn Du damit nicht umgehen kannst, finden wir einen Weg. Aber traue es Dir ruhig erst einmal zu. Ich traue es Dir zu. Manchmal setzt Stress ungeahnte Energie frei und manchmal drückt er einen zu Boden. Du wirst in dieser Prüfung nicht beaufsichtigt, damit Du Dich frei fühlen und Deinen Gedanken folgen kannst. Hole Dir zwischendurch ruhig was zu essen und zu trinken. Lege die Beine hoch. Schüttle Dich, um den Kopf frei zu bekommen. Damit wir zusammen das Ziel erreichen, Wissen weiterzutragen.

Viel Erfolg!

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Lars Mecklenburg

Entwickler • Reflexionen zu Digitalität und Bildung • Bildungsplattform CodeLab Berlin • Grundschul-App MatheLab Berlin